Veröffentlicht am 20. Oktober 2022

Stress und Burnout – Teil 1, Stress

„Ich kann die Woche nicht, ich bin im Stress“; „Ich bin fix und fertig, wir haben nur noch stressige Schichten“; Die Patienten stressen mich“; Meine PDL stresst dauernd rum“; „Ich habe Beziehungsstress“; Die Kinder stressen mich“; Mein Mann stresst mich; „Der ganze Stress macht mich echt krank“!!!

Diese Aussagen dürften vielen bekannt vorkommen. Stress ist nicht nur ein beständiges Trendwort, sondern auch für viele Menschen tatsächlich ein alltäglicher Begleiter. Dabei hat jeder Mensch ein individuelles Stressempfinden und seine eigene Vorstellung davon, was Stress bedeutet.  Das Wort „Stress“ wird also mehrdeutig benutzt. Mittlerweile gibt es deshalb auch viele unterschiedliche Definitionen.

Was ist Stress eigentlich und wie entsteht er?

Der Begriff »Stress« (lat. strictus: straff) wurde aus dem Englischen übernommen und bedeutet im technisch-physikalischen Kontext Druck, Belastung oder Spannung. [i]
Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes definiert Stress als einen „Zustand der Alarmbereitschaft des Organismus, der sich auf eine erhöhte Leistungsbereitschaft einstellt“ (2020).[ii]

Stress bezeichnet also eine Situation oder ein Ereignis, das einen Mensch stark in Anspruch nimmt oder die Belastbarkeit eines Menschen deutlich übersteigt.

Stress kann durch eine Vielzahl körperlicher und seelischer Reize, auch Stressoren genannt, ausgelöst werden. Da wären etwa körperliche Reize wie Wärme, Kälte, Lärm oder Verletzungen, Infektionen, sowie seelische Reize wie zum Beispiel Probleme in der Partnerschaft, Überforderung im Beruf, Verlust eines geliebten Menschen usw. In der Alltagstheorie wird unter Stress meist die psychosoziale Belastung verstanden und bezeichnet einerseits jene Situationen, die stressauslösende Bedingungen, andererseits aber auch die individuelle Stressreaktion mit den typischen Begleiterscheinungen wie Bluthochdruck, Schwindel, Appetitlosigkeit, Erschöpfung, Grübeleien, Schlafprobleme.[iii]
Unabhängig von der Art der einwirkenden Stressoren kommt es nach dem Biochemiker und Hormonforscher, Hans Hugo Bruno Selye zu körperlichen Anpassungsreaktionen, dem allgemeinen Adaptationssyndrom.

Das allgemeine Adaptionssyndrom

Seyle, der auch als „Vater der Stressforschung“ bezeichnet wird, entwickelte in den 1930er-Jahren die Grundlagen der Lehre vom Stress und vom allgemeinen Adaptationssyndrom oder Selye-Syndrom.
Das Adaptionssyndrom verläuft in 3 Phasen, der Alarmreaktionsphase, der Widerstandsphase und der Erschöpfungsphase. In der ersten Phase kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Hormonen der Nebennierenrinde wie Cortisol und des Nebennierenmarks wie Adrenalin und Noradrenalin. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel erhöht, Herzschlag und Blutdruck steigen, die Durchblutung wird vermehrt. In der 2. Phase versucht der Organismus, sich an den Stressor anzupassen. Dabei lässt die Widerstandsfähigkeit gegenüber anderen Stressoren nach, und es kann zu einer Schwächung des Immunsystems kommen, so dass sich die Abwehrbereitschaft gegenüber Krankheiten verringert. Bei chronisch einwirkendem Stress kann es in der Phase der dritten und letzten Phase, der Erschöpfung zu organischen Erkrankungen kommen wie z.B. Magengeschwüren, Bluthochdruck oder Herzinfarkt. [iv]

Wenn der Stress übermächtig wird, wird ein uraltes Notfallprotokoll aktiviert
Bartlett (1998) beschreibt eine gewisse Toleranz gegenüber Stress, jedoch erkrankt der Mensch, wenn der Stress übermächtig wird. [v]

Das Notfallprotokoll

Wird der Stress vom Individuum als „Zuviel“ empfunden, reagiert das Stammhirn alias „Reptiliengehirn“1, (Walter B. Connon, 1932), innerhalb von Millisekunden reflexartig, analysiert und bewertet Situationen oder Ereignisse und ohne, dass wir bewusst darüber nachdenken oder entscheiden, startet im Fall einer vermeidlichen Bedrohung, ein uraltes Notfallprotokoll, das die sogenannten „Stresssysteme“ aktiviert.

Die Stresssysteme

Die Stresssysteme dienen in allererste Linie dazu, unser Überleben zu sichern. Wurde das Notfallprotokoll aktiviert, hatten wir bewusst nur noch 2 Optionen zur Auswahl: „Flucht oder Kampf“! Dieser evolutionäre Mechanismus, der uns in der Urzeit vor über 250 Millionen Jahren das körperliche Überleben gesichert hat, ist also bis heute aktiv.

Kampf, Flucht, Verstecken oder Totstellen

Allerdings hat sich das „Notfallprotokoll“ weiterentwickelt und stellt uns in der heutigen Zeit die Verhaltensoptionen: Kampf, Flucht, Verstecken oder Totstellen („Fight, Flight, Freezing“) zusätzlich zur Auswahl. Für was auch immer wir uns entscheiden, wir benötigen sofort vermehrt Energie und diese wird durch komplexe Vorgänge, die sich im vegetativen Nervensystem 2 abspielen, sowie durch die vermehrte Ausschüttung der Hormone Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, befeuert. Puls und Blutdruck steigen an, die Pupillen weiten sich, die Bronchien weiten sich und die Atemfrequenz wird erhöht, das Gewebe wird besser mit Sauerstoff versorgt und die Muskulatur ist angespannt, es wird vermehrt Zucker in das Blut ausgeschüttet und die Schmerzempfindlichkeit wird reduziert, wir werden bestens ausgerüstet, um gegen ein Mammut zu kämpfen, wir können allerdings auch loslaufen wie der Teufel, um vor dem Feind zu fliehen, oder aber, wir entscheiden uns zu erstarren.[vi], [vii], [viii]

Zum Glück müssen wir heutzutage nicht mehr gegen ein Mammut kämpfen!

Aber wohin mit der ganzen Energie?
Normalerweise beruhigt sich der Körper und auch der Geist, wenn die Gefahrensituation vorüber ist, die Erholungsphase kann einsetzen.  Bei Dauerstress sieht es allerdings etwas anders aus! Hier kann keine ausreichende Erholung, weder körperlich noch geistig, stattfinden. Da man sich im chronischen Erregungszustand befindet, kommt es unweigerlich zur Erschöpfung und es kann zu weiteren körperlichen und psychischen Erkrankungen kommen.

In unserem nächsten Beitrag werden wir über das „Burnout-Syndrom“ berichten und wie man präventiv die psychische Widerstandsfähigkeit trainieren kann, welche Maßnahme, Übungen und Techniken und Seminare es gibt, werden wir Ihnen in unserem nächsten Blogbeitrag verraten!

Bis dahin,
herzliche Grüße aus dem Referat Pflege!


Quellenverzeichnis und Wörter:

1Reptilienhirn Unser Stammhirn hat sich vor ungefähr 500 Millionen Jahren entwickelt, es ist der tierliebendste Teil im Gehirn und verbindet Gehirn und Rückenmark. Im Stammhirn werden Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Nahrungsaufnahme oder Darmtätigkeit kontrolliert. Alle Aufgaben, die wir unwillkürlich und unbewusst ausführen. Alle Wirbeltiere haben diesen Gehirnteil, und er ist bei fast allen gleich aufgebaut. Bei niederen Wirbeltieren wie den Reptilien macht dieser Bereich sogar fast das gesamte Gehirn aus und trägt daher auch seinen Namen „Reptiliengehirn“. [ix]

2 Das vegetative Nervensystem reguliert die Tätigkeit der meisten Organe und viele lebenswichtige Körperfunktionen. Dazu gehören: die Bronchien (Atmung), Speichelproduktion, der Blutkreislauf inklusive Herzfrequenz, Puls und Durchblutung der Muskeln, der Stoffwechsel, die Aktivität von Magen und Darm (Verdauung), die Pupillenweite, die Bauchspeicheldrüse, die Harnblase.

[i] Grundlagen zu Stress | SpringerLink

[ii] Stress (gbe-bund.de)

[iii] Grundlagen zu Stress / Springer | SpringerLink

[iv] Vollständiger Artikel: Das Vermächtnis von Hans Selye und die Ursprünge der Stressforschung: Eine Retrospektive 75 Jahre nach seinem wegweisenden Brief „Brief“ an den Herausgeber# von Nature (tandfonline.com)

[v] Brinkmann, Angewandte Gesundheitspsychologie, 2. aktualisierte Auflage, 2021, S.184, Buch, Fachbuch, 978-3-86894-392-4.

[vi] Stress: Ein Erfolgskonzept (deutsche-medizinerauskunft.de)

[vii] Fight-or-Flight-Syndrom: Nerven- & Hormonsystem inkl. Übungen (sofatutor.com)

[viii] Biomedizin: Wie Stress unser Überleben sichert – WELT

[ix] Gehirn und Lernen – Der Hirnstamm oder das „Reptiliengehirn“ (gehirnlernen.de)

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